Pioniere in Ingolstadt: Unterschied zwischen den Versionen

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== Krisenzeit ==
== Krisenzeit ==
Nur in Fleißers Leben trat eine Wende ein. Sie wandte sich ab von Brecht und ging eine unglückliche Beziehung mit dem national gesinnten Journalisten und Völkerkundler [[Helmut Draws Tychsen]] ein. Mit ihm verbrachte sie die kommenden Jahre und reiste durch Europa, ehe sie, von ihm unterdrückt und finanziell ruiniert, nach Ingolstadt zurückkehrte und ihren ehemaligen Verlobten Bepp Haindl, einen bekannten Ingolstädter Schwimmer, heiratete. Mit ihm führte sie den Tabakwarenladen in der Theresienstrasse 1. Zu Hause galt sie lange Zeit als Nestbeschmutzerin. Die aufkeimende Ideologie des Nationalsozialismus goss dazu noch Öl auf die Wogen, als u. a. Fleißers “Pioniere” auf der Liste des unerwünschten Schrifttums erschienen.
Nur in [[Marieluise Fleißer|Fleißers]] Leben trat eine Wende ein. Sie wandte sich ab von Brecht und ging eine unglückliche Beziehung mit dem national gesinnten Journalisten und Völkerkundler [[Helmut Draws Tychsen]] ein. Mit ihm verbrachte sie die kommenden Jahre und reiste durch Europa, ehe sie, von ihm unterdrückt und finanziell ruiniert, nach Ingolstadt zurückkehrte und ihren ehemaligen Verlobten Bepp Haindl, einen bekannten Ingolstädter Schwimmer, heiratete. Mit ihm führte sie den Tabakwarenladen in der Theresienstrasse 1. Zu Hause galt sie lange Zeit als Nestbeschmutzerin. Die aufkeimende Ideologie des Nationalsozialismus goss dazu noch Öl auf die Wogen, als u. a. Fleißers “Pioniere” auf der Liste des unerwünschten Schrifttums erschienen.


== Wiederentdeckung des Dramas ==
== Wiederentdeckung des Dramas ==
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== Quellen ==
== Quellen ==

Stadtarchiv Ingolstadt, Marieluise-Fleißer-Archiv III 1929/6a: Vaterbrief (1929).
* Stadtarchiv Ingolstadt, Marieluise-Fleißer-Archiv III 1929/6a: Vaterbrief (1929).


== Literatur ==
== Literatur ==


* Gradl, Pauline: Dienstmädchen in Ingolstadt. Genoveva Frei (1895-1986). In: Barbara Leininger, Monika Müller-Braun, Barbara Plötz und Beatrix Schönewald (Hrsg.): Zeit der Frauen. Ingolstädterinnen aus drei Jahrtausenden. Ingolstadt 2004 (Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, Bd. 113), S. 183–192.
* Gradl, Pauline: Dienstmädchen in Ingolstadt. Genoveva Frei (1895-1986). In: Barbara Leininger, Monika Müller-Braun, Barbara Plötz und Beatrix Schönewald (Hrsg.): Zeit der Frauen. Ingolstädterinnen aus drei Jahrtausenden. Ingolstadt 2004 (Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, Bd. 113), S. 183–192. Online verfügbar unter https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb00094527, zuletzt geprüft am 26.10.2023.
* Häntzschel, Hiltrud (Hrsg.): Marieluise Fleißer aus Ingolstadt. "Diese Frau ist ein Besitz" ; zum 100. Geburtstag. Marbach am Neckar 2001 (Marbacher Magazin, Bd. 96).
* Häntzschel, Hiltrud (Hrsg.): Marieluise Fleißer aus Ingolstadt. "Diese Frau ist ein Besitz" ; zum 100. Geburtstag. Marbach am Neckar 2001 (Marbacher Magazin, Bd. 96).
* Pionierarbeit. In: Ingolstädter Tagblatt (11.06.1926).
* Pionierarbeit. In: Ingolstädter Tagblatt (11.06.1926).
* Rühle, Günther; Fleißer, Marieluise (Hrsg.): Materialien zum Leben und Schreiben der Marieluise Fleißer. 1. Aufl. Frankfurt a. M. 1973 (Edition Suhrkamp, Bd. 594).
* Rühle, Günther; Fleißer, Marieluise (Hrsg.): Materialien zum Leben und Schreiben der Marieluise Fleißer. 1. Aufl. Frankfurt a. M. 1973 (Edition Suhrkamp, Bd. 594).
* Storz, Dieter: Pioniere in Ingolstadt. In: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, Jg. 114 (2005), S. 185–195. Online verfügbar unter <nowiki>https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00105830?page=182,183</nowiki>, zuletzt geprüft am 24.11.2023.
* Storz, Dieter: Pioniere in Ingolstadt. In: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, Jg. 114 (2005), S. 185–195. Online verfügbar unter https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00105830?page=182,183, zuletzt geprüft am 24.11.2023.
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[[Kategorie:Weimarer Republik (1918-1933)]]
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Aktuelle Version vom 26. Oktober 2023, 10:31 Uhr

Beitrag von Annette Schweigart und Doris Wittmann

Pioniere in Ingolstadt ist eine Komödie von Marieluise Fleißer, die 1928 erstmals aufgeführt wurde.

Die Entstehung des Stücks

Marieluise Fleißer berichtete bei einer Zusammenkunft mit Bert Brecht von Pionieren aus Küstrin, die in Ingolstadt 1926 einen Steg errichteten. Fasziniert von diesem Stoff riet Brecht ihr, ein Stück mit diesem Inhalt zu schreiben. Ins Zentrum rückten die Liebeleien zwischen Soldaten und Dienstmädchen, auch der gnadenlose Zwang beim Militärdienst.

Unspektakuläre Aufführung in Dresden und Skandal in Berlin

1928 erfolgte die Aufführung in Dresden unter der Regie von Renato Mordo. Martin Costa und Trude Wessely glänzten in ihren Hauptrollen. Alles verlief unspektakulär, kritisiert wurde die “dünne Handlung”. Diese erste Fassung war länger als die zweite, die Brecht 1929 in Berlin unter der Regie von Jakob Geis mit einem Bühnenbild von Caspar Neher, bestehend aus einer Diaprojektion mit Ingolstädter Ansichten von Postkarten, die Marieluise Fleißer organisiert hatte, und dem Slogan “Besucht Ingolstadt”, spielen ließ. Albert Hoerrmann, Peter Lorre, Lotte Lenya und Hilde Körber gaben in den Hauptrollen ihr Bestes. Brecht straffte nach den Kritiken der Dresdner Aufführung den Text, schärfte die Konturen der Protagonisten und griff in die Inszenierung ein. Damit entfachte er einen Skandal durch für damalige Verhältnisse eindeutig sexualisierte und das Ansehen des Militärs schädigende Szenen. Aufgrund der nicht allzu lange vor der Aufführung in Berlin dort verschärften Gesetze, die einer nach der Weimarer Verfassung nicht vorgesehenen Zensur den Weg öffneten, verbot die Polizei das Stück, sofern nicht die anrüchigen Szenen gestrichen würden. Letzteres geschah und die Pioniere gingen noch mehr als 40 Mal über die Bühne.

Ein Prozess als Folge des Skandals

Ingolstadt, die Provinzstadt, erlangte im gewaltigen Rauschen des Blätterwalds traurige Berühmtheit. Positive und negative Kritiken standen einander gegenüber. Die politischen Fronten in der Weimarer Republik hatten sich verhärtet. Das Trauma des verlorenen Kriegs und seiner Folgen sowie die Wirtschaftskrise trugen sicher auch dazu bei. Der Ingolstädter Oberbürgermeister Dr. Gruber empfand diese Verunglimpfung der Stadt und des Militärs ungeheuerlich und strengte einen Prozess an. Marieluise Fleißer reichte auf Anraten Lion Feuchtwangers eine Privatklage ein und wurde als Mitglied des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller von dessen Juristen unterstützt. Nach längerem Hin und Her trug Fleißer den Sieg davon und der Ingolstädter Oberbürgermeister musste 30 Reichsmark Strafe bezahlen. Erich Kästner verfasste zu diesen Gegebenheiten das Gedicht “Der Schildbürgermeister.”

Ruinierter Ruf in der Heimatstadt

Juristisch war zwar eine klare Entscheidung gefallen, aber Fleißer hatte sich in ihrer Heimat unbeliebt gemacht. Darunter mußte sie lange Zeit leiden. Und nicht nur sie, sondern die ganze Familie. Heinrich Fleißer schreibt seiner Tochter am 27. Juni 1929: “... aber am liebsten wäre mir schon, wenn einmal Ruhe würde, mit diesen Pionieren, oder Dir gelingt es neues zu schaffen, “besseres”, wie es die dir wohlgesonnene Kritik in Dir verborgen glaubt.”[1]

Ungetrübter literarischer Erfolg

Dem literarischen Schaffen Fleißers tat all dies keinen Abbruch, es erschienen Erzählbände, noch im Jahr 1929 der Band “Ein Pfund Orangen” sowie Beiträge in verschiedenen Zeitungen.

Krisenzeit

Nur in Fleißers Leben trat eine Wende ein. Sie wandte sich ab von Brecht und ging eine unglückliche Beziehung mit dem national gesinnten Journalisten und Völkerkundler Helmut Draws Tychsen ein. Mit ihm verbrachte sie die kommenden Jahre und reiste durch Europa, ehe sie, von ihm unterdrückt und finanziell ruiniert, nach Ingolstadt zurückkehrte und ihren ehemaligen Verlobten Bepp Haindl, einen bekannten Ingolstädter Schwimmer, heiratete. Mit ihm führte sie den Tabakwarenladen in der Theresienstrasse 1. Zu Hause galt sie lange Zeit als Nestbeschmutzerin. Die aufkeimende Ideologie des Nationalsozialismus goss dazu noch Öl auf die Wogen, als u. a. Fleißers “Pioniere” auf der Liste des unerwünschten Schrifttums erschienen.

Wiederentdeckung des Dramas

Lange Zeit hielt sie das Stück zurück, ehe es von Rainer Werner Fassbinder wieder ans Licht gebracht wurde. Mittlerweile sind die Pioniere auch in fremde Sprachen übersetzt und häufig an Bühnen im In- und Ausland gespielt worden.

Ein Erinnerungsort

Der noch heute existierende Pioniersteg über den Künettegraben erinnert an die Grundlage für das Stück “Pioniere in Ingolstadt” und die Dramatikerin Marieluise Fleißer.

Fußnoten

  1. Stadtarchiv Ingolstadt, Marieluise-Fleißer-Archiv III 1929/6a.

Quellen

  • Stadtarchiv Ingolstadt, Marieluise-Fleißer-Archiv III 1929/6a: Vaterbrief (1929).

Literatur

  • Gradl, Pauline: Dienstmädchen in Ingolstadt. Genoveva Frei (1895-1986). In: Barbara Leininger, Monika Müller-Braun, Barbara Plötz und Beatrix Schönewald (Hrsg.): Zeit der Frauen. Ingolstädterinnen aus drei Jahrtausenden. Ingolstadt 2004 (Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, Bd. 113), S. 183–192. Online verfügbar unter https://mdz-nbn-resolving.de/details:bsb00094527, zuletzt geprüft am 26.10.2023.
  • Häntzschel, Hiltrud (Hrsg.): Marieluise Fleißer aus Ingolstadt. "Diese Frau ist ein Besitz" ; zum 100. Geburtstag. Marbach am Neckar 2001 (Marbacher Magazin, Bd. 96).
  • Pionierarbeit. In: Ingolstädter Tagblatt (11.06.1926).
  • Rühle, Günther; Fleißer, Marieluise (Hrsg.): Materialien zum Leben und Schreiben der Marieluise Fleißer. 1. Aufl. Frankfurt a. M. 1973 (Edition Suhrkamp, Bd. 594).
  • Storz, Dieter: Pioniere in Ingolstadt. In: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt, Jg. 114 (2005), S. 185–195. Online verfügbar unter https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb00105830?page=182,183, zuletzt geprüft am 24.11.2023.

Empfohlene Zitierweise

Schweigart, Annette / Wittmann, Doris: Pioniere in Ingolstadt. Hrsg. v. Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt. 2023 (Stadtgeschichtslexikon). Online verfügbar unter https://stadtgeschichtslexikon.ingolstadt.de/wiki/Pioniere_in_Ingolstadt (Version vom 26.10.2023), zuletzt geprüft am 08.12.2025.

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