Marieluise Fleißer

Aus Stadt Ingolstadt Stadtgeschichtslexikon

Beitrag von Doris Wittmann

Marieluise Fleißer (* 22. November 1901 in Ingolstadt; † 2. Februar 1974 in Ingolstadt) war eine deutsche Schriftstellerin. Einen Großteil ihres Lebens verbrachte sie in Ingolstadt.

Leben

Als Tochter eines Schmieds wuchs Marieluise Fleißer zusammen mit drei Schwestern und einem Bruder in der Kupferstraße 18 in der Altstadt auf. Nach dem Besuch der Grundschule und höheren Töchterschule im Gnadenthal kam sie in das Internat und die Klosterschule der Englischen Fräulein in Regensburg, um dort ihr Abitur abzulegen. Damals war dies nämlich in Ingolstadt für Mädchen noch nicht möglich. 1920 zog sie nach München, um dort das Universitätsstudium aufzunehmen.

Ihrer Vorliebe für Literatur und Theater konnte sie nun nachkommen, hörte auch Vorlesungen beim namhaften Theaterwissenschaftler Professor Arthur Kutscher. Bald taten sich gute Kontakte zur damals bekannten Literaturwelt auf: Lion Feuchtwanger und auf dessen Einfluss hin Berthold Brecht wurden ihre Mentoren. So konnte sie bereits mit 22 Jahren ihre erste Erzählung mit dem Titel „Meine Zwillingsschwester Olga“ in Stefan Großmann Zeitschrift „Das Tagebuch“ veröffentlichen. 1926 brachte Moriz Seeler in Dresden Fleißers erstes Bühnenstück „Fegefeuer in Ingolstadt“ zur Aufführung. Die Autorin schrieb ihrem Vater daraufhin: „Ich habe wie man so sagt einen Erfolg.“

Dieser wandelte sich beim nächsten Drama „Pioniere in Ingolstadt“ nach unspektakulären Aufführungen in Dresden 1929 zu einem Skandal in Berlin, nachdem Brecht in die Inszenierung eingegriffen hatte. Ein Prozess war die Folge. Fleißer ging jedoch siegreich hervor, wandte sich danach aber von ihrem bisherigen Literaturkreis ab und einem Journalisten und Völkerkundler namens Helmut Draws Tychsen zu, der mit ihr Reisen nach Schweden, Frankreich und Andorra unternahm. Diese Stoffe verarbeitete sie literarisch im Erzählband „Andorranische Abenteuer.

Die Beziehung zu Draws Tychsen gestaltete sich zunehmend schwierig durch den Arbeitsdruck und psychische Belastungen, denen Fleißer nun ausgesetzt war. So kehrte sie – auch in Folge der Wirtschaftskrise, ausbleibender Einkünfte für ihre Werke und des ideologischen Umschwungs – wieder zurück in ihre Heimatstadt und heiratete ihren früheren Verlobten Josef Haindl, Kaufmann und Inhaber eines Tabakwarenladens. Es trat eine längere Schaffenspause ein, die Arbeit am Drama „Karl Stuart“ wollte nicht gelingen, acht verschiedene Fassungen zeugen davon.

Der Zweite Weltkrieg ging auch am Ehepaar Haindl nicht spurlos vorüber: Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie war Fleißer auferlegt, die Wohnung brannte in Folge eines Bombenangriffs aus, Haindl war überall im Land unterwegs zu Lösch- und Rettungseinsätzen. Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurden auch die Tabakwaren konfisziert. Zu Beginn der 1950er Jahre begann das Comeback Fleißers mit Auszeichnungen und einem neuen Stück mit dem Titel „Der starke Stamm“.

Überschattet wurden diese Erfolge von den Schwierigkeiten, die ein ungetreuer Verwalter des Tabakwarenladens, den Haindl aufgrund seiner zunehmenden gesundheitlichen Probleme eingestellt hatte, bereitete. Fleißer hatte auch hier die Hauptlast zu tragen, verkaufte nach dem Tod des Mannes das Geschäft und zahlte die Schulden ab. Ein Herzinfarkt setzte sie schließlich einige Zeit außer Gefecht. Mit dem geschwächten Herz hatte sie bis zum Lebensende zu kämpfen. Dennoch war der Arbeitseifer ungebrochen. 1963 erschien „Avantgarde“, ein Erzählband.

Fleißer reiste zu Lesungen, Aufführungen ihrer Theaterstücke, zu Rundfunk- und Fernsehaufnahmen. Der Aufenthalt als Ehrengast in der Villa Massimo in Rom und die sich daran anschließende Sizilienreise waren weitere Höhepunkte. Ende der 1960er Jahre entdeckten Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz und Martin Sperr das Fleißersche Werk und ließen sich davon inspirieren. Bekannt wurde Fassbinders Film „Pioniere in Ingolstadt“ mit Hanna Schygulla. Kroetz plädierte indessen für eine Gesamtausgabe der Fleißer-Texte, die dann tatsächlich 1972 bei suhrkamp erschien. Walter Rüdel drehte den Film „Das bemerkenswerte Leben der Marieluise Fleißer“. So konnte die Literatin noch die Früchte ihres Lebenswerks ernten. Am 2. Februar 1974 erlag sie schließlich ihrem Herzleiden und wurde auf dem Westfriedhof in Ingolstadt begraben.

Literarisches Schaffen

Marieluise Fleißers erste erfolgreiche Schaffensphase fällt in die Zeit der Weimarer Republik, die ersten Jahre der Demokratie in Deutschland. Ihr Werk ist dem Stil der Neuen Sachlichkeit zugeordnet. Nüchtern und emotionslos wird die Realität mit allen Problemen und Missständen skizziert. Der Alltag mit seinen Sorgen und Nöten fließt in die Literatur mit ein. Eine exakte Beobachtungsgabe war eine wichtige Voraussetzung. Illusionen waren fehl am Platz.

Veröffentlicht hatte sie Erzählungen in diversen Zeitschriften und Zeitungen, aber auch in Sammelbänden, einen Roman und Bühnenstücke. Für Rundfunk und Fernsehen entstanden ebenso Beiträge.

Thematisch widmete sie sich den Auswüchsen pubertierender Jugendlicher, den Beziehungen zwischen Frauen und Männern, Dienstmädchen und Soldaten, dem Existenzkampf berufstätiger Frauen, den Eindrücken von Reisen, Natur und Tierwelt. Damit sprach sie eine breite Leserschaft an, die sich mit den Protagonisten der Texte und den Geschehnissen leicht identifizieren konnte. Sie kleidete die Texte in eine einfache Alltagssprache, die leicht verständlich für alle war. Neuen Medien waren die Vertreterinnen und Vertreter dieser Stilrichtung sehr zugetan. Fleißer nutzte sie gerne. So konnte man Literatur als Massenware gut vermarkten.[1]

Der Fleißersche Sprachduktus beinhaltet zahlreiche Bavarismen, ist schnörkellos, auf das Nötigste reduziert. Fleißer selbst bezeichnet die Sprache als das Wichtigste an ihren Arbeiten. (MLF-Archiv III 1972/11).

Elfriede Jelinek charakterisiert Fleißer als „die bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin“ des 20. Jahrhunderts.[2]

Werke (Auswahl)

Spuren in Ingolstadt

Fußnoten

  1. Neue Sachlichkeit (2023)
  2. Hartenstein; Hülsenbeck; Fleißer (2001), S. 152.

Quellen

  • Marieluise-Fleißer-Archiv

Literatur

  • Delabar, Walter: Klassische Moderne. Deutschsprachige Literatur 1918 - 33. Berlin 2010 (Akademie Studienbücher. Literaturwissenschaft).
  • Eiden, Ingrid: Das "Gestische Sprechen" bei Marieluise Fleißer (1901-1974). Magisterarbeit, Universität Augsburg.
  • Göttel, Sabine: "Natürlich sind es Bruchstücke". Zum Verhältnis von Biographie und literarischer Produktion bei Marieluise Fleißer. St. Ingbert 1997 (Sofie, Bd. 6).
  • Häntzschel, Hiltrud (Hrsg.): Marieluise Fleißer aus Ingolstadt. "Diese Frau ist ein Besitz"; zum 100. Geburtstag. Marbach am Neckar 2001 (Marbacher Magazin, Bd. 96).
  • Häntzschel, Hiltrud: Marieluise Fleißer. Eine Biographie. 1. Aufl. Frankfurt am Main 2007.
  • Hartenstein, Elfi; Hülsenbeck, Annette; Fleißer, Marieluise (Hrsg.): Marieluise Fleißer. Leben im Spagat; eine biografische und literarische Collage; mit Texten Bildern und Fotografien von Marieluise Fleißer, Bertolt Brecht, Therese Giehse, Lion Feuchtwanger, Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz. 1. Aufl. Berlin 2001 (Femmes de lettres).
  • Kraft, Friedrich; Pfister, Eva; Rühle, Günther (Hrsg.): Marieluise Fleißer. Anmerkungen, Texte, Dokumente. Ingolstadt 1981.
  • Lutz, Günther: Die Stellung Marieluise Fleißers in der bayerischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Frankfurt am Main 1979 (Europäische Hochschulschriften 01, Bd. 312).
  • Lutz, Günther: Marieluise Fleißer. Verdichtetes Leben. München 1989.
  • Müller, Maria E.; Vedder, Ulrike (Hrsg.): Reflexive Naivität. Zum Werk Marieluise Fleißers. Berlin 2000 (Geschlechterdifferenz & Literatur, Bd. 11).
  • Neue Sachlichkeit. Hrsg. v. Konradin Medien GmbH. Leinfelden-Echterdingen. Online verfügbar unter https://www.wissen.de/lexikon/neue-sachlichkeit, zuletzt geprüft am 24.10.2023.
  • Reichert, Carl-Ludwig: Marieluise Fleißer. Orig.-Ausg. München 2001 (dtv, Bd. 31054: dtv-portrait).
  • Rühle, Günther; Fleißer, Marieluise (Hrsg.): Materialien zum Leben und Schreiben der Marieluise Fleißer. 1. Aufl. Frankfurt a. M. 1973 (Edition Suhrkamp, Bd. 594).
  • Rühle, Günther; Fleißer, Marieluise (Hrsg.): Briefwechsel 1925 - 1974. 1. Aufl. Frankfurt am Main 2001.
  • Wildfeuer, Alfred: Ich war verraten, verratzt. Linguistische Analysen zu Marieluise Fleißers Prosa. In: Schriftenreihe Marieluise-Fleißer-Gesellschaft, H. 7 (2009), S. 53–70.

Empfohlene Zitierweise

Wittmann, Doris: Marieluise Fleißer. Hrsg. v. Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt. 2023 (Stadtgeschichtslexikon). Online verfügbar unter https://stadtgeschichtslexikon.ingolstadt.de/wiki/Marieluise_Flei%C3%9Fer (Version vom 07.11.2023), zuletzt geprüft am 08.12.2025.

Cookies helfen uns bei der Bereitstellung von Stadt Ingolstadt Stadtgeschichtslexikon. Durch die Nutzung von Stadt Ingolstadt Stadtgeschichtslexikon erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies speichern.