Wanderherberge Ingolstadt
Beitrag von Agnes Krumwiede
In der Beckerstraße 27 befand sich bis 1945 eine sogenannte „Wanderherberge“ für gering verdienende Menschen auf Wanderschaft.
Situation im Deutschen Reich
Um gering verdienende Menschen auf Wanderschaft zu unterstützen, wurden ab 1910 flächendeckend Herbergen und Verpflegungsstellen eingerichtet. Seit Ende der 1920er Jahre gab es im Deutschen Reich zahlreiche Arbeitslose auf Wanderschaft. Außerdem zogen Wander- und Saisonarbeiter, Betreiber von fahrendem Gewerbe, Wanderschausteller und Musiker durch Dörfer und Städte. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde beim „wandernden Volk“ nicht zwischen den unterschiedlichen Gruppen differenziert. Unter der nationalsozialistischen Herrschaft ab 1933 etablierten sich stigmatisierende Begriffe wie „Bettlerplage“ und „Bettelunwesen“.
Um wandernde Hilfsbedürftige vor der Verelendung zu bewahren, verpflichtete die Reichsfinanzverwaltung (RFV) jeden Ortsfürsorgeverband zur Hilfeleistung in Form von Verpflegung und Unterkunft. Die Kosten trugen die Landesfürsorgeverbände. Sie erstatteten den Ortsfürsorgeverbänden die Ausgaben für mittellose Wanderer ab zehn Reichsmark pro Person und Tag. Eine derart subventionierte Unterkunft für Wanderer boten die sogenannten „Wanderherbergen“.
Verfolgung der Bewohner durch Nationalsozialisten
Die Nationalsozialisten terrorisierten die in den „Wanderherbergen“ Untergebrachten. Bei der „Bettlerrazzia“ im September 1933 kontrollierten und verhafteten SA, SS und Hilfspolizei dort alle Personen, die sie des Bettelns oder Landstreichens verdächtigten und die von den privaten Fürsorgeorganisationen und staatlichen Wohlfahrtsstellen gemeldet worden waren. Obdachlosen- und Wanderertreffpunkte wie auch die „Wanderherbergen“ wurden systematisch durchkämmt. Die „Hauskarteikarten“ der „Wanderherbergen“ waren hilfreich bei der „Erfassung“ des Personenkreises.
Die Ingolstädter "Wanderherberge" in der Beckerstraße
In der Beckerstraße 27 befand sich die Ingolstädter „Wanderherberge“, im Erdgeschoss des Gebäudes war das Wirtshaus „zum Poliziner“ untergebracht. Im Innenhof der Beckerstraße 27 hatten zwischen 1920 und 1941 mehrere Sinti-Familien während ihres Aufenthaltes in Ingolstadt Stellplätze für ihre Wohnwagen.
Überlegungen zur Umwandlung
Anfang 1934 waren in der Ingolstädter „Wanderherberge“ kaum mittellose Wanderer beherbergt, weshalb der Stadtrat am 4. Mai 1934 in Erwägung zog, die „Wanderherberge“ einer „anderen Verwertung entgegenzuführen“ und in eine „Wanderarbeitsstätte“ umzuwandeln. Diese Überlegung verwarf der Stadtrat, da der Standort „mitten in der Stadt“ für eine „Wanderarbeitsstätte“ mehrheitlich als „ungeeignet“ erachtet wurde. Die „Wanderherberge“ blieb in ihrer ursprünglichen Funktion weiterhin bestehen.