Pferdebahn
Beitrag von Jasmin Kambach
Die Ingolstädter Pferdebahn wurde zwischen dem 10. November 1878 und dem 3. März 1921 als Verkehrsmittel zwischen der Ingolstädter Innenstadt und dem ca. 3 km entfernten Hauptbahnhof genutzt.

Ausgangslage
Der Ingolstädter Centralbahnhof (heute Hauptbahnhof) wurde am 1. Juni 1874 eröffnet.[1] Aufgrund des Festungscharakters der Stadt liegt der Hauptbahnhof 3,26 km von der Innenstadt entfernt – außerhalb der Stadt und auf der anderen Seite der Donau.
Zunächst transportierten Kutschen die Reisenden zum Bahnhof. Zur Bewältigung des zunehmenden Personenverkehrs am Centralbahnhof wurde der Einsatz von Pferdeomnibussen notwendig. 1876 bedurfte es jedoch eines leistungsfähigeren und sicheren Verkehrsmittels für diese Verbindung. In diesem Zuge nahm die Stadt Ingolstadt Kontakt zum Stadtmagistrat München auf, um sich über eine Pferdebahn zu informieren, da diese dort bereit im Einsatz war. Aufgrund positiver Rückmeldung begann auch die Stadt Ingolstadt eine Pferdebahn nach dem Vorbild von München zu planen. Sie wollte jedoch nicht das Risiko des Bahnbaus und Betriebes auf sich nehmen, weshalb sie einen Unternehmer suchte, der bereit war, das Risiko zu tragen.[2] Dieser Unternehmer war der Civilingenieur Hermann Reuß (* um 1838 in Bad Kissingen, † 7. August 1887 in Ingolstadt).[3]
Errichtung der Pferdebahn
Hermann Reuß war bereit, die Pferdebahn zu erbauen und zu betreiben. Nachdem er eine Konzession erhalten hatte, kaufte er ein Grundstück in der Münchener Straße 81, wo er ein Betriebsgebäude errichtete, welches sowohl als Wohnsitz für seine Familie diente als auch Stallungen und eine Wagenremise im Garten umfasste.[4] Die Schienenlegung begann am 25. September 1878.[5] Am 9. November 1878 konnte die Firma unter dem Namen „Ingolstaedter Tramway – H. Reuß“ in das Firmenregister des Handelsgerichts München eingetragen werden.[6]
Die Eröffnung „des Ingolstaedter Tramway“ fand am 10. November 1878 um 11:00 Uhr statt. Bereits am Eröffnungstag sollen 700 Fahrgäste befördert worden sein. Am folgenden Tag trat der Fahrplan in Kraft, der täglich von 4:30 Uhr bis 0:00 Uhr 48 Fahrten zwischen dem Centralbahnhof und der Stadt umfasste.[7]
Täglich wurden auf diesem Wege ca. 500 Personen befördert. Der Fahrpreis betrug 20 Pfennige.[8]
Bei Betriebsaufnahme bewältigten fünf geschlossene und fünf offene Personenwagen den Personenverkehr, sogenannte Salonwagen und Sommerwagen. Ergänzt wurden diese durch acht Wagen für den Güterverkehr und zwei Wagen zur Postbeförderung. Später beschaffte Reuß weitere drei Salonwagen.[9]
Strecke
Die Strecke verlief vom Poppenbräu am Kreuztor vorbei am Münster, durch die Theresienstraße zur Kreuzung am Stein beim Schliffelmarkt und die Moritzstraße entlang zum Gouvernementsplatz (heute Rathausplatz). Von dort fuhr die Pferdebahn durch das Donautor über die Donaubrücke weiter zum Centralbahnhof.[10] An den Endhaltepunkten waren keine Schienenschleifen vorhanden, weshalb dort umgespannt werden musste.[11] Die Fahrt dauerte etwa 25 Minuten.

Insgesamt umfasste die 3,26 km lange Strecke 10 Haltestellen:
- Obere Pfarrkirche (Poppenbräu)
- Adler (Gasthaus)
- Bären (Gasthaus)
- Schliffelmarkt
- Gouvernements-Platz (am heutigen Rathausplatz)
- beim Kritzschen (Gasthaus)
- Bonschab (Gasthaus)
- Donauwörther Überfahrt (mit Ausweiche)
- Bichler (Gasthaus)
- Centralbahnhof
Für den Güter- und Postverkehr führte die Strecke bis 1913 an der Endhaltestelle am Münster noch ca. 250 m weiter bis zur Alten Post. Am Centralbahnhof führte die Bahn bis zum Postgleis der Staatsbahn und endete etwa 400 m südlich.[12]
Personal

Bei der Betriebsaufnahme waren 13 Personen bei Hermann Reuß beschäftigt: zwei Kontrolleure, drei Kondukteure, vier Kutscher, ein Futtermeister, ein Stallbursche und zwei Bürokräfte. Um 1908 wurde das Personal auf 19 Personen erhöht, was wohl auch in den folgenden Jahren beibehalten wurde.[13]
Fahrgäste
Nach Ablauf des ersten Betriebsjahres wurde die Pferdebahn von etwa 185.000 Personen auf 10.000 Fahrten genutzt.[14] Der Personenverkehr war 1908 auf 256.000 und 1914 auf 328.566 Personen gestiegen. In den letzten Betriebsmonaten wurden 650.000 Personen befördert.[15]
Betrieb bis 1919
Zunächst waren die Ingolstädter begeistert von der neuen und modernen Pferdebahn. Schnell merkten sie jedoch, dass dieses Verkehrsmittel auch Schwierigkeiten mit sich brachte. Gelegentlich war es wohl notwendig, dass die Passagiere beim Passieren der Donaubrücke anschoben, insbesondere an vereisten oder verregneten Tagen[16] oder wenn die Bahn zu stark besetzt war.[17] Auch die scharfe Kurve am Schliffelmarkt erwies sich als Herausforderung, da dort immer wieder Wagen entgleisten.[18]
So entstand der Spottspruch:
„Kommt man in Ingolstadt an,
so geht’s zur Pferdebahn.
Und nur, wenn’s stark pressiert,
dann wird … zu Fuß marschiert.“[19]
Hermann Reuß führte die Pferdebahn bis zu seinem Tod am 7. August 1887. Nach dem Tod des Firmengründers übernahm seine Witwe Karoline Reuß zunächst die Geschäfte. 1897 wurde der Betrieb vom Sohn August Reuß aus München übernommen und geleitet. Dieser benannte die Firma in „Pferdebahn Ingolstadt (Ingolstädter Tramway H. Reuß)“ um.[20]
In der Kriegszeit war man froh, ein funktionierendes Verkehrsmittel zwischen Centralbahnhof und Stadt zu haben. Der Betrieb wurde jedoch aufgrund von Pferdemangel, Personalmangel und finanziellen Verlusten des Unternehmers, die zu Fahrplaneinschränkungen, Tariferhöhungen und Vernachlässigung der Bahn führten, beeinträchtigt. Durch Teuerungen unter anderem von Futter, Material und steigenden Lohnkosten machte das Unternehmen Verluste[21], was 1918 zu einer Tariferhöhung führte. Parallel dazu errichtete die Stadt zur Unterstützung der Pferdebahn eine Omnibuslinie, welche die Bahn zwar nicht behindern durfte, sich jedoch größerer Beliebtheit erfreute als die Pferdebahn. Das führte dazu, dass sich die finanzielle Situation von August Reuß nicht besserte und zur Kündigung des Vertrages mit der Stadt führte.
Betrieb 1919-1921

Zum 1. Oktober 1919 ging die Pferdebahn in den Besitz der Stadt Ingolstadt über. Hierbei übernahm die Stadt neben dem Unternehmen auch das Anwesen und das Personal der Firma. Die Leitung des „Städtischen Pferdebahn- & Speditionsunternehmens Firma H. Reuß“ bekam der Stadtbauführer Eduard Braun übertragen.[22] Bis 16. November 1919 konnte der Fahrpreis beibehalten werden, ehe eine Preiserhöhung auf 40 Pfennige für die ganze und 20 Pfennige für die halbe Strecke folgte.[23] Weitere Preiserhöhungen folgten zum 1. März, 1. August und 1. November 1920.[24]
Bereits vor der Übernahme der Bahn durch die Stadt gab es Diskussionen über die Abschaffung der Pferdebahn bzw. dem Bau einer elektrifizierten Bahn. 1921 entschloss man sich endgültig, die Pferdebahn einzustellen und vorläufig durch einen Omnibusverkehr zu ersetzen. Die letzte Fahrt der Pferdebahn fand am 3. März 1921 um 12:30 Uhr von der Theresienstraße zum Hauptbahnhof statt. In den gesamten 43 Jahren des Pferdebahnbetriebes wurden etwa 1800 Pferde eingesetzt.[25]
Pläne zur Elektrifizierung
Bereits seit 1908 wurde versucht, die Idee einer elektrifizierten Straßenbahn umzusetzen. So kam es 1914 sogar zu einer Vertragskündigung mit August Reuß durch die Stadt, da eine elektrische Straßenbahn die Pferdebahn ersetzen sollte. Aufgrund des beginnenden Ersten Weltkrieges wurde diese jedoch rückgängig gemacht und Umbaumaßnahmen zurückgestellt.
1917 bildete sich eine „Bürgerinitiative zur Einführung des elektrischen Betriebs“, deren Ziel die Elektrifizierung der Bahn in Ingolstadt war. In einer Entschließung zum Straßenbahnbetrieb bezeichneten sie die Pferdebahn als unhaltbar und forderten Verbesserungen sowie die Aufnahme von Bauarbeiten für eine elektrische Straßenbahn. [26] Dies führte zunächst zur Einführung einer Omnibuslinie auf der Strecke. Aus finanziellen Gründen wurden die Bauarbeiten zur elektrischen Straßenbahn nicht aufgenommen.
Bei der Einstellung der Bahn 1921 wurden erneut Pläne zur Elektrifizierung erstellt. Als Übergangslösung sollte der Omnibusverkehr dienen, bis die Pläne einer elektrifizierten Straßenbahn umgesetzt werden konnten. Der Omnibusverkehr bewährte sich jedoch, sodass 1927 die Pläne einer Straßenbahn aufgegeben wurden.
Spuren in Ingolstadt
- Wandbild der Pferdebahn im Treppenhaus der Theresienstraße 32
- Reußstraße nahe Westfriedhof
- Lied der Pferdebahn in "Pioniere in Ingolstadt" von Marieluise Fleißer[27]
Fußnoten
- ↑ Schönewald.
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 4.
- ↑ Stadtarchiv Ingolstadt, Sterberegister Ingolstadt 355/1887.
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 7.
- ↑ Kuhn (1931).
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 9.
- ↑ Martinus (1878).
- ↑ Treffer (2008), S. 126.
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 14.
- ↑ Treffer (2008), S. 125.
- ↑ Daniel (1980), S. 89.
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 14.
- ↑ Ebd.
- ↑ Kuhn (1931).
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 14.
- ↑ Treffer (2008), S. 125.
- ↑ Daniel (1980), S. 90.
- ↑ Kostka (1878).
- ↑ Treffer (2008), S. 126.
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 26.
- ↑ Ebd., S. 22.
- ↑ Stadtarchiv Ingolstadt, A XIII 52c.
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 26.
- ↑ Stadtarchiv Ingolstadt, A XIII 52c.
- ↑ Bergsteiner (1991), S. 14.
- ↑ Ebd., S. 24.
- ↑ Stadtarchiv Ingolstadt, MLF-Archiv VI, 2a, 1, S. 52 – 14. Bild – Fertige Brücke.
Quellen
- Stadtarchiv Ingolstadt, A XIII 52c: Die Pferdebahn im Besitze der Stadt (1919-1921).
- Stadtarchiv Ingolstadt, MLF-Archiv VI, 2a, 1, S. 52 – 14. Bild – Fertige Brücke: Pferdebahnlied - Fleißers Pioniere in Ingolstadt, Fassung 1928, Dresden.
- Stadtarchiv Ingolstadt, Sterberegister Ingolstadt 355/1887: Sterberegistereintrag von Hermann Reuß (1887).
Literatur
- Bergsteiner, Leonhard: Ingolstaedter Tramway Hermann Reuß. 1878 - 1921. 2. Aufl. Karlsruhe 1991.
- Daniel, Gerd: Die Schanz. Ingolstadt in Erzählungen, Anekdoten und Originalen. Wiehl 1980.
- Kostka, Stanislaus: Ingolstadt und Umgebung. In: Ingolstädter Zeitung (13.11.1878).
- Kuhn, Hans: Ingolstädter Heimatblätter. Die Pferdebahn. Nr. 17, S. 67. In: Ingolstädter Heimatblätter, Jg. 3, H. 17 (1931), S. 67.
- Martinus, P.: Ingolstadt und Umgebung. In: Ingolstädter Zeitung (11.11.1878).
- Schönewald, Beatrix: "König Ludwigs" Zentralbahnhof. Die Geschichte der Eisenbahn in Ingolstadt. Verkehrsverbund Großraum Ingolstadt, VGI. Online verfügbar unter https://www.invg.de/Historisches, zuletzt geprüft am 18.01.2024.
- Treffer, Gerd: "Weilst nur grad da bist, Maxl". Episoden bayerischer Geschichte. 1. Aufl. Ingolstadt 2008.