Alte Anatomie
Beitrag von Maria Eppelsheimer
Die Alte Anatomie ist ein zweigeschossiger Barockbau, der 1723 bis 1736 für die medizinische Fakultät der Universität Ingolstadt erbaut wurde und dem Architekten Gabriel de Gabrieli zugeschrieben wird. Seit 1973 beherbergt das Gebäude das Deutsche Medizinhistorische Museum Ingolstadt.
Entstehung
Da die vorhandenen Hörsäle der Universität den Ansprüchen an die medizinische Ausbildung längst nicht mehr genügten,[1] forderte sie 1719 ein eigenes Gebäude sowie einen botanischen Garten für die medizinische Fakultät.[2] In den neuen Räumen sollten die medizinischen Grundlagenfächer Botanik, Anatomie, Chemie und Physik mittels Demonstration und Experiment zeitgemäß vermittelt werden.[3] Bereits 1694/95 war ein Neubau der Universität nach einem Entwurf von Enrico Zucalli geplant, der aus Kostengründen nicht realisiert werden konnte. Für die medizinische Fakultät war ein zweistöckiges Theatrum Anatomicum mit oval angelegten, amphitheatralisch aufsteigenden Sitzreihen und zahlreichen Nebenräumen vorgesehen.[4]
1722 wurde unter Professor Johann Adam Morasch das Grundstück zwischen Hoher Schule und Stadtmauer erworben und die Planung in Auftrag gegeben. Die Bauausführung erfolgte durch den Ingolstädter Stadtmaurermeister Michael Anton Prunthaller und begann mit der Grundsteinlegung am 27. April 1723. Wegen finanzieller Schwierigkeiten konnte das Gebäude erst 1735/1736 vollendet werden. Die Entwürfe werden dem bischöflichen Hofbaumeister Gabriel de Gabrielis zugeschrieben[5] und wurden vermutlich durch Prunthaller überarbeitet.[6] 1736 wurde in das Obergeschoss des Mittelbaus eine Holzkonstruktion für anatomische Sektionen eingebaut, das „Amphitheatrum mobile“.[7] Das Melchior Puchner zugeschriebene Deckenfresko zeigt eine allegorische Darstellung der Medizin und ihrer Teilwissenschaften.[8]
1755/56 wurde, veranlasst durch Professor Johann Leonhard Obermayer, die Zwischendecke entfernt und so ein zweistöckiger Demonstrationssaal mit umlaufender Galerie geschaffen.[9]
Nutzung nach 1800
Durch die Verlegung der Universität nach Landshut verlor das Gebäude 1800 seine ursprüngliche Funktion. Die darauffolgenden unterschiedlichen Gebäudenutzungen, unter anderem als Landwirtschaft und als Wäscherei, hatten massive Eingriffe in die historische Bausubstanz zur Folge. 1970 bis 1972 wurde die Alte Anatomie umfassend renoviert, wobei die ursprünglichen Bauformen von 1723 teilweise rekonstruiert wurden.[10]
1972 wurde in der Alten Anatomie eine Ausstellung zum 500-jährigen Jubiläum der Universität Ingolstadt gezeigt und damit das Gebäude nach der Renovierung eingeweiht. 250 Jahre nach der Grundsteinlegung, am 23. Juni 1973, wurde das Deutsche Medizinhistorische Museum Ingolstadt eröffnet.[11] 2016 wurde das Gebäude um einen Neubau erweitert und das Museum so vergrößert.[12] 2015 bis 2020 wurden in der Alten Anatomie Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten durchgeführt.[13]
Arzneipflanzengarten
Im „Hortus medicus“ wurden die Medizinstudenten in Botanik und Arzneimittellehre unterrichtet.[14] Dieser botanische Garten wurde bereits kurz nach dem Grundstückserwerb, etwa 1722, angelegt, konnte also deutlich früher als das Gebäude für den Unterricht genutzt werden.[15] 1738 enthielt der Garten etwa 380 Pflanzenarten, wobei gewöhnliche Arten in dieser Zählung fehlen. In einem Gartenbuch aus dem Jahr 1770 werden bereits 1.743 Pflanzenarten aufgelistet.[16] Ursprünglich war der Garten nach dem System des französischen Botanikers Joseph Pitton de Tournefort angelegt. 1777 erfolgte eine Umgestaltung, die Beete wurden in strengen Doppelreihen angelegt.[17]
1992 wurde anlässlich der damaligen Landesgartenschau wieder ein Arzneipflanzengarten angelegt. Das Wegesystem orientiert sich an dem 1723 ursprünglich geplanten und auf einem Kupferstich von Simon Thaddeus Sondermeyr zu sehenden „Hortus medicus“.[18]
Fußnoten
- ↑ Ruisinger (2009), S. 502.
- ↑ Hofmann (1995), S. 14–15.
- ↑ Ruisinger (2009), S. 502.
- ↑ Hofmann (1973), S. 83.
- ↑ Hofmann (1995), S. 15-18.
- ↑ Hofmann (1973), S. 85.
- ↑ Anatomiestraße 20 (2002), S. 40.
- ↑ Ebd., S. 42.
- ↑ Ebd., S. 40–41.
- ↑ Ebd., S. 41.
- ↑ Habrich (1995), S. 24.
- ↑ Deutsches Medizinhistorisches Museum: Neubau.
- ↑ Deutsches Medizinhistorisches Museum: Dauerausstellung in der Alten Anatomie.
- ↑ Ruisinger (2009), S. 503.
- ↑ Hofmann (1995), S. 19.
- ↑ Schötz (2005), S. 73.
- ↑ Hofmann (1995), S. 19.
- ↑ Anatomiestraße 20 (2002), S. 41–42.
Literatur
- Anatomiestraße 20. In: Frank Becker, Christina Grimminger und Karlheinz Hemmeter (Hrsg.): Stadt Ingolstadt. Ensembles, Baudenkmäler, archäologische Denkmäler, Bd. 1. 2 Bände. München 2002 (Denkmäler in Bayern, Bd. I.1), S. 40–42.
- Deutsches Medizinhistorisches Museum: Dauerausstellung in der Alten Anatomie. Online verfügbar unter https://www.dmm-ingolstadt.de/museum/dauerausstellung.html, zuletzt geprüft am 10.10.2023.
- Deutsches Medizinhistorisches Museum: Neubau. Online verfügbar unter https://www.dmm-ingolstadt.de/museum/neubau.html, zuletzt geprüft am 10.10.2023.
- Habrich, Christa: Das Museum. Entstehung, Geschichte und Wachstum. In: Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt. 2. Aufl. Braunschweig 1995, S. 22–29.
- Hofmann, Siegfried: Die Alte Anatomie in Ingolstadt. In: Medizinischer Monatsspiegel, H. 4 (1973), S. 83–86.
- Hofmann, Siegfried: Das Gebäude. Geschichte und Architektur. In: Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt. 2. Aufl. Braunschweig 1995, S. 10–21.
- Ruisinger, Marion Maria: Das Deutsche Medizinhistorische Museum. 2.500 Jahre Medizingeschichte in der „Alten Anatomie“. In: Bayerisches Ärzteblatt, H. 10 (2009), S. 502–503. Online verfügbar unter https://www.bayerisches-aerzteblatt.de/fileadmin/aerzteblatt/ausgaben/2009/10/einzelpdf/BAB_1009_502_503.pdf, zuletzt geprüft am 10.10.2023.
- Schötz, Franz Josef: Zur Geschichte der Botanik an der Universität Ingolstadt 1472-1800, der heutigen Ludwig-Maximilians-Universität München. Die Botanik als Teil der Medizin. München 2005 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse. Abhandlungen, Neue Folge, Bd. 173). Online verfügbar unter https://publikationen.badw.de/de/021640071/pdf/CC%20BY, zuletzt geprüft am 10.10.2023.
Empfohlene Zitierweise
Eppelsheimer, Maria: Alte Anatomie. Hrsg. v. Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt. 2024 (Stadtgeschichtslexikon). Online verfügbar unter https://stadtgeschichtslexikon.ingolstadt.de/wiki/Alte_Anatomie (Version vom 08.05.2024), zuletzt geprüft am 06.12.2025.